Cochlea Implantat Endlich höre ich Musik
Ein Cochlea-Implantat bringt Hörgeschädigten und plötzlich Ertaubten in die Welt der Hörenden. Ercole Di Martino, Chefarzt in Diako, ist eine Koryphäe auf diesem Gebiet
Er ist ein unprätentiöser Arzt. In seinem Büro kann man den Blick schweifen lassen und ahnt es nicht. Ercole Di Martino ist einer der besten Hals-Nasen-Ohren-Ärzte Deutschlands. Sowohl Focus als auch Guter Rat bezeugen das.
Beide Zeitungen stellen Top 50 Besten-Listen zusammen, in dem sie Patientenmeinungen und Kollegenmeinungen auswerten. Nur im Wartezimmer im evangelischen Diakonie-Krankenhaus Diako verrät eine Urkunde, dass der Professor einer von sechs ausgezeichneten Ärzten im gesamten Norddeutschen Raum – von Niedersachsen bis Mecklenburg-Vorpommern – ist.
„Ich mache nur meine Arbeit“, bleibt der Professor bescheiden, freut sich aber doch, dass er unter seinen Kollegen so anerkannt wird. Im Mai erst hat er einen der größten HNO-Kongresse der Republik in der Hansestadt organisiert. Fast 400 Kollegen haben sich ausgetauscht, Operations-Stile verglichen und sich weitergebildet. Eine gleichermaßen interessante wie anstrengende Veranstaltung. Schließlich geht das Tagesgeschäft weiter.
Und das besteht bei Ercole Di Martino hauptsächlich aus Operationen. Bekannt ist er für seine Nasen – denn er ist auch Plastischer Chirurg – und für seine Hörprothesen, besonders das Cochlea-Implantat (CI).
Es ist schade, wenn man die Möglichkeit, die einem die Medizin bietet, nicht nutzt
Ercole Di Martino beschäftigte sich wegen seiner Tochter mit dem Implantat. Sie litt seit dem Kleinkindalter an einer Hörschädigung und er wollte ihr ein normales soziales Leben ermöglichen. „Es ist schade, wenn man die Möglichkeit, die einem die Medizin bietet, nicht nutzt“, sagt er. Seit 2006 implantiert er in Bremen die kleinen Hör-Prothesen. „Das schöne ist, dass jeder Patient danach hören kann. Allerdings – und das kann zum Problem werden – heißt hören nicht verstehen.“
Für Rena Noltenius änderte sich schlagartig das gesamte Leben
„Hätte ich das mal früher gewusst“, sagt Rena Noltenius. Die promovierte Kunsthistorikerin erlitt im Juli vergangenen Jahres einen Hörsturz und war von einem Tag auf den anderen fast komplett taub. „Auf dem einen Ohr habe ich noch Geräusche wahrgenommen.“
Für die aktive Mittsechzigerin aus Borgfeld änderte sich schlagartig das gesamte Leben: An Autofahren, Fernsehen, Telefonieren oder auch eine simple Unterhaltung war nicht mehr zu denken. „Ich habe eigentlich nur noch geschrieben, hatte immer Zettel und Stift dabei“, erinnert sie sich. Glücklicherweise gehört ihre Studienkollegin zu den ersten Patienten mit einem Cochlea-Implantat. „Schon vor fast 30 Jahren hat sie es eingesetzt bekommen“, sagt Rena Noltenius. Als sie mit ihrem Hausarzt darüber sprach, schickte er sie nach Hannover.
Seit Februar kann die aktive Mittsechzigerin aus Borgfeld wieder hören
„Die Operation war gut verlaufen, aber nach meiner Meinung hat man mich etwas zu früh zurück geschickt.“ Seit Februar kann Rena Noltenius wieder hören. „Es ist anders, psychisch ehrlich gesagt auch nicht leicht zu verkraften. Aber ich bin so glücklich endlich wieder am Leben teil zu haben“, strahlt sie.
Etwas allein gelassen, fand sie in die Selbsthilfegruppe am Diako
Etwas allein gelassen, fand sie in die Selbsthilfegruppe am Diako. „Da gibt es verschiedene Treffen. Die Selbsthilfegruppe trifft sich jeden zweiten Mittwoch im Monat und so alle fünf Wochen gibt es einen CI-Infonachmittag mit bestimmt 50 Cochlea-Patienten und dem Professor. Das ist ein prima Angebot.“
„Für mich ist es ganz wichtig, dass die Operierten nicht allein gelassen werden. Ich lege viel Wert auf die Nachsorge und kenne jeden, den ich operiert habe persönlich. “, sagt Ercole Di Martino. Er hat ein Team aus Therapeuten, Logopäden, Pädagogen und Hörakustiker zusammengestellt. „Die machen einen wirklich guten Job“, lobt der Arzt. Das kann auch Tobias Kölpin bestätigen.
Tobias Kölpin konnte Geräusche hören, aber Sprache kaum verstehen
Der 22jährige ist seit seiner Geburt schwerhörig. „Als beim Spülen ein Teller zu Bruch ging und ich als Baby nicht reagiert habe, ist meine Mutter darauf aufmerksam geworden.“ Daraufhin begann für die Mutter eine Ärzte-Tour – schließlich erlangte sie im Krankenhaus Bremen-Mitte Gewissheit. „Ich hatte immer Hörgeräte, aber die reichten nur bedingt aus“, sagt der Informatiker. „Seit meinem zweiten Lebensjahr habe ich Hörgeräte getragen. Ich konnte zwar Geräusche hören, aber Sprache kaum verstehen, deswegen habe ich Lippenlesen gelernt“, sagt Tobias Kölpin. Aber verglichen mit heute, beschreibt er das Gefühl, das die Hörgeräte verursachen so: Es sei als hätte man einen Kopfhörer auf, der alles absolut abdichtet. Zudem ist das Leben für einen Hörgeschädigten nicht leicht. „Die meisten leben in einer eigenen Welt, verständigen sich mit Gebärdensprache, Lippenlesen und sind von der Gesellschaft ausgegrenzt“, sagt der Auszubildende.
Mobbing, das auf Missverständnissen beruht
Er selbst besuchte zunächst die Förderschule in der Marcusallee. Aber aufgrund seiner Intelligenz wurde er in die Regelschule überwiesen. Dort lernte Tobias Kölpin was es heißt, anders zu sein. „Aus heutiger Sicht würde ich es als Mobbing bezeichnen, das auf Missverständnissen beruhte“, sagt er. Glücklicherweise kam seine Betreuerin auf die Idee, mal Hörgeräte mit in die Schule zu bringen, damit die Kinder sich damit auseinandersetzen und selbst ausprobieren konnten. Aber auch seitens der Lehrer gab es in Tobias Schulkarriere immer wieder Probleme.
Ich musste alles von den Lippen absehen.
„Mit einem Lehrer, der vor der Klasse hin und her läuft, konnte ich nichts anfangen. Ich musste schließlich alles von den Lippen absehen. Tafelbilder oder gar zusammengefasste Arbeitsblätter waren ideal.“ Dennoch schaffte Tobias es, ging nach der Gesamtschule Bremen-West nach Essen und machte dort auf dem Rheinisch-Westfälischen Berufskolleg sein Abitur mit den Leistungsfächern Wirtschaft und Mathematik. Dort war es eine Erzieherin im nahegelegenen Internat, die ihn zur Seite nahm und sagte: „Du brauchst ein Cochlea-Implantat.“
Du brauchst ein Cochlea-Implantat
So hat er sich hingesetzt und seine persönliche Für- und Widerliste erstellt. „Es ist schließlich ein großer Schritt, seine Komfortzone zu verlassen und in die Welt der Hörenden einzutauchen“, erklärt er. Vor drei Jahren lies er zunächst das eine, dann vor einem Jahr das zweite Ohr von Professor Di Martino im Diako operieren.
„Heute bin ich froh. Ich kann Sprache endlich hören. Früher war Musik für mich nur Töne, jetzt erkenne ich sogar Melodien.,“ ist er begeistert.
hören heisst nicht gleich verstehen
Allerdings – und das mussten Tobias Kölpin und Rena Noltenius erfahren – heißt hören nicht gleich verstehen. Für Tobias Kölpin erschloss sich mit dem Cochlea-Implantat eine neue Welt, Rena Noltenius erarbeitet sich ihre wieder zurück. Für beide steht fest: Es können gar nicht genug Betroffene von dieser Möglichkeit des Hörens erfahren. „Am Anfang muss man das Hören wieder richtig lernen und vor allem Geduld haben, alle Stimmen klingen gleich, Musik und Fernsehen ist mir noch zu anstrengend, aber dem Geprassel des Regens zu lauschen, war für mich nach der Taubheit das schönste Geräusch.“ Jetzt hofft die Borgfelderin, dass ihre Krankenkasse ihr erlaubt, im Diako weiter betreut zu werden.
Cochlea-Implantat
Das Implantat>
Eine winzig kleine Elektrode wird operativ in die Hörschnecke (Cochlea) eingeführt, eine Empfangsspule hinter dem Ohr unter der Haut platziert. Die Sendespule von außen hält durch ein Magnet an der Kopfhaut und das Mikrofon liegt – wie bei anderen Hörgeräten auch – am Ohr. Geräusche werden somit über das Mikrofon und den digitalen Sprachprozessor, die Empfangsspule und die Elektroden direkt per Schallsignal an den Hörnerv übertragen.
Die Operation
In einer ein bis dreistündigen OP wird mittels Mirkochirurgie eine etwa 0,8 Millimeter große Elektrode in die Cochlea eingeführt und die Sendespule platziert. Das Restgehör wird durch die OP nicht beeinflusst. Etwa fünf Tage nach der OP kann der Patient nach Hause, bleibt aber in der Nachsorge. Nach rund sechs bis acht Wochen wird der externe Teil (Mikrofon, Sprachprozessor, Empfänger) zum ersten Mal in Betrieb genommen. Danach beginnt die ambulante Reha mit Sprachtherapie und Hörtraining.
Die Vor- und Nachteile
Es ist egal in welchem Alter ein CI „eingebaut“ wird, die Erfolgschancen sind sowohl bei einem Kleinkind als auch bei Erwachsenen gleich. „Jeder kann mit dem CI hören“, sagt der Professor. Aber aktive Mitarbeit und Geduld sind nach der OP vom Patienten gefragt. Therapeuten, Pädagogen, Techniker und Mediziner trainieren gemeinsam mit ihm das Gehirn, damit er das Hören lernt. Somit ist ein gesellschaftliches Leben möglich. Allerdings erschreckt das auch manche Patienten. „Es gibt Gehörlose, die wollen ihre Welt nicht verlassen“, stellt Tobias Kölpin fest. „Früher war ich abends total kaputt, weil Lippenabsehen und Geräusche deuten sehr anstrengend ist. Jetzt ist das Leben leichter, auch wenn es noch genügend Dinge, wie Brandmelder, gibt, die man für Hörgeschädigte verbessern kann. Denn nachts – wenn ich die Sendespule abnehme – höre ich nichts mehr“, sagt Tobias Kölpin.